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Hans Künzi – Operations Research zur Evaluation eines Kampfflugzeugs

Heute vor 100 Jahren wurde Hans Künzi (1924–2004) in Olten geboren. Er war ein Mathematiker von Weltruf, wurde Pionier des Operations Research und etablierte dieses Wissenschaftsgebiet in der Schweiz. Seine Dienste beanspruchten der Bundesrat ebenso wie die Armeeführung. Später nutzte er sein analytisches Organisationstalent als Regierungsrat und verhalf unter anderem der Zürcher S-Bahn zum Durchbruch.

 

Unbeschwerte Jugendzeit

Hans Künzi besuchte die Schulen in Olten und Solothurn, wo er sich als guter Redner und mit hervorragenden Gedichten auszeichnete. In der Mittelschulverbindung «Wengia Solodorensis» erhielt er den passenden Vulgo «Klatsch». So unbeschwert wie seine Jugendzeit, so erfolgreich verlief sein Mathematikstudium an der ETH Zürich, das er 1948 abschloss.

Professor an Uni und ETH Zürich

Mit nur 34 Jahren wurde Hans Künzi an der Universität Zürich Professor des neu gegründeten Lehrstuhls für Operations Research. Künzi hatte das grosse Potential der computergestützten Unternehmens- und Organisationsforschung früh erkannt und die Universität sah in ihm die richtige Person, um sich im jungen Wissenschaftsfeld zu etablieren. Nur kurze Zeit später wurde denn auch auf Betreiben von Professor Künzi die erste elektronische Datenverarbeitungsanlage an der Universität Zürich, eine IBM 1620, installiert. 1966 folgte der Ruf als Professor an die ETH Zürich, womit Künzi als einer von wenigen eine Professur an beiden Zürcher Hochschulen innehatte.

Evaluation des Erdkampfflugzeugs Corsair

Im Sommer 1965 wurde Hans Künzi vom Oberst im Generalstab Kurt Werner kontaktiert. Nachdem wenige Jahre zuvor die Beschaffung des Kampfflugzeugs Mirage in einem Fiasko endete, stand bereits das nächste Rüstungsgeschäft an: der Ersatz für die Venom-Flugzeuge. Künzi erschien den Verantwortlichen von Armee und Militärdepartement als der richtige Mann für die Evaluation eines modernen Kampfflugzeugs. Und in der Tat organisierte er eine vielköpfige Projektgruppe mit Physikern, Mathematikern und Ingenieuren, teils aus Armeeangehörigen, teils aus Doktoranden seines Instituts und anderen Wissenschaftlern.

100’000 simulierte Luftkämpfe

Das neue Kampfflugzeug sollte sowohl Ziele in der Luft als auch Ziele am Boden bekämpfen können. Basierend auf allen Vorgaben und mit den Eigenschaften von neun Flugzeugtypen begannen Hans Künzi und sein Team mit den Simulationen. Nächtelang liefen die Computer an der Universität Zürich auf Hochtouren, bis zuletzt über 100’000 simulierte Luftkämpfe durchgerechnet waren.

Der Bundesrat ignoriert sämtliche wissenschaftlichen Erkenntnisse

Das Resultat war eindeutig: der amerikanische «Corsair» erfüllte als einziger Kandidat die hohen Anforderungen. Doch nun mischte sich die Politik ein. Die Befürworter der unterlegenen Flugzeugtypen streuten unhaltbare Gerüchte, drohten mit diplomatischen Krisen und intervenierten entsprechend beim Bundesrat. Dieser entschied sich 1972 gegen den Corsair, indem er den Typenentscheid grundlos vertagte. Als Ersatz wurde dann später das zweitklassige Kampfflugzeug Tiger beschafft, das nun keine Erdziele mehr bekämpfen konnte und im übrigen keiner auch nur annähernd so gründlichen Evaluation unterzogen wurde… Nach der Mirage-Affäre wurde die nächste Kampfflugzeugbeschaffung wieder zu einem Skandal, diesmal aber nicht wegen einer unzulänglichen Evaluation, sondern weil eine international beachtete Evaluation vom Bundesrat ignoriert wurde.