Vor 125 Jahren, am 19. September 1898, wurde die erste Teilstrecke der Jungfraubahn bis zur Station Eigergletscher mit einer pompösen Feier eröffnet. Hinter dem Projekt stand Adolf Guyer-Zeller (1839–1899). Der visionäre Zürcher Unternehmer war zunächst als Fabrikant und Händler im Textilwesen tätig, bevor er sich bei verschiedenen Eisenbahngesellschaften engagierte. Daneben war er als Kantonsrat politisch aktiv.
Jugend- und Studienzeit
Der am 1. Mai 1839 in Neuthal im Zürcher Oberland geborene Adolf Guyer war das dritte Kind und der einzige Sohn des Rudolf Guyer und der Magdalena Guyer-Wepf. Nach der Primar- und Sekundarschule in Bauma sowie der Industrieschule in Zürich studierte Adolf Guyer am Eidgenössischen Polytechnikum (heute ETH) und widmete sich danach philosophischen und nationalökonomischen Studien an der Genfer Akademie.
Für und gegen die Sklaverei
In der 1825 vom Vater gegründeten Baumwollspinnerei in Neuthal erwarb sich Adolf Guyer praktische Kenntnisse im Textilfach, bevor er 1859 nach Le Havre und England zog. Im Herbst 1860 reiste er für grössere Baumwollgeschäfte nach Nordamerika und Kuba. Dor kam er direkt mit der Sklaverei in Kontakt, von der nach eigenen Angaben 95 % des Familienbetriebs abhängen würden. Guyer war klar, dass ohne Sklaverei die schweizerische Baumwollindustrie erheblichen Schaden nehmen würde. Neben diesen wirtschaftlichen Überlegungen äusserte er sich einerseits rassistisch, um andererseits die Sklaverei zu verurteilen. In späteren Jahren wendete sich diese ambivalente Haltung, beeinflusst durch die fromme Familie, zu einer klaren Ablehnung der Sklaverei.
Einstieg ins Eisenbahnwesen
1869 heiratete Adolf Guyer die Stadtzürcherin Anna Wilhelmine Zeller, mit der er nach Zürich zog. Hier am Zeltweg gründete er ein Exportgeschäft, das Handel mit Textilartikeln nach Italien, dem Orient, Indien und Ostasien betrieb. Obwohl er 1874 die alleinige Leitung der Textilfirma in Neuthal übernahm, engagierte er sich bald auch in anderen Wirtschaftsbereichen. Er beteiligte sich an der Nordostbahn, wo er nach internen Auseinandersetzung den Verwaltungsrat stürzte und selber Präsident wurde. Weiter initiierte er den Bau der Uerikon-Bauma-Bahn, die 1901 eröffnet wurde.
Der Schöpfer der Jungfraubahn
Die Idee einer Jungfraubahn geisterte ab den späten 1880er Jahren in den Köpfen von verschiedenen namhaften Ingenieuren, wie Maurice Koechlin, Alexander Trautweiler oder Eduard Locher. Im Unterschied zu diesen Ideen sah das Projekt von Adolf Guyer-Zeller als entscheidenden Vorteil mehrere Zwischenstationen vor, an denen die Gäste ein neues, atemberaubendes Panorama antrafen. Dadurch konnte die Bahn in Etappen dem Betrieb übergeben werden, was die Verzinsung des Kapitals durch laufende Einnahmen ermöglichte.
Eine eigene Bank zur Eisenbahnfinanzierung
Im Dezember 1894 erteilte ihm die Bundesversammlung die Konzession für eine Eisenbahn von der Kleinen Scheidegg über das Jungfraujoch bis unter den Jungfrau-Gipfel, der schliesslich mit einem 65 Meter langen Lift erschlossen werden sollte. Um die Finanzierung der Jungfraubahn zu erleichtern, gründete Guyer-Zeller im gleichen Jahr unter dem Namen «Bank Guyer-Zeller» eine Privatbank in Zürich. Am 27. Juli 1896 erfolgte der Spatenstich, rund zwei Jahre später konnte am 19. September 1898 die erste Teilstrecke Kleine Scheidegg–Eigergletscher unter der Teilnahme von über 400 geladenen Gästen festlich eingeweiht werden. Pfarrer Strasser aus Grindelwald hielt eine Predigt, ein kurzes Festspiel wurde aufgeführt und der Männerchor Zürich umrahmte die Feierlichkeiten.
Vollendung nach dem Tod
Zum Durchstich der zweiten Etappe bei der provisorischen Station Rotstock, konnte Adolf Guyer-Zeller nur per Telegramm gratulieren. Er starb wenige Wochen später am 3. April 1899 in Zürich an Herzversagen. Trotzdem wurde das Projekt weitergeführt. Nach massiven Bauzeitverzögerungen konnte am 1. August 1912 die Eröffnung der höchsten Bahnstation Europas auf dem Jungfraujoch, 3454 Meter über Meer gefeiert werden.