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Aus Oetwil in die Welt: Der grösste Spinner Europas

Heinrich Kunz – der Spinnerkönig

Pionier des Monats und Neuerscheinung: Heinrich Kunz – der Spinnerkönig

Der Name Heinrich Kunz ist weitherum bekannt. Er gilt als seiner Zeit grösster Spinnereibesitzer Europas, zugleich aber auch als rücksichtsloser Industriekapitalist. Erstmals erscheint eine umfassende Biographie über ihn, der mit Fabriken in Uster, Windisch, Linthal, Adliswil, Seegräben, Ober-Kemptthal, Rorbas und Fehraltorf die Industrialisierung insbesondere im Zürcher Oberland prägte. Neue Quellen, darunter die Briefkorrespondenz von Heinrich Kunz, erlauben es dem Autor Werner Bosshard ein differenziertes Bild dieser facettenreichen und bis heute umstrittenen Persönlichkeit zu zeichnen.

Der Vater, Hans Heinrich Kunz (1766–1825), war in Oetwil am See Säckelmeister, Stillständer und Friedensrichter. Er war als Baumwollverleger tätig und beschäftigte 30 Handweber. Er finanzierte die ersten Spinnstühle für das Haus in der Gusch in Oetwil und die erste Spinnerei in Oberuster.

Standort und Bau der Fabriken zeigen klare Muster

Der Bau der Fabriken richtete sich grundsätzlich nach der Verfügbarkeit bzw. der Nutzbarkeit von Wasserkraft. So entstanden die Fabriken am Aabach, an der Reuss, der Sihl und der Linth. Die Fabriken in Ober-Kemptthal und Rorbas dagegen erwarb Heinrich Kunz aus dem Konkurs anderer Fabrikanten. Die Gebäude liess Heinrich Kunz, sofern er sie selber erbaute, stets nach demselben Muster errichten, was Bau- und Betriebskosten senkte.

Innovation sowie grosse Technik- und Marktkenntnisse sichern den Erfolg

Auf seinen zahlreichen Reisen durch ganz Europa erwarb sich Heinrich Kunz technisches Wissen und Informationen zum Marktgeschehen. Als erster installierte er im Oberen Glattal neuartige Spinnmaschinen für hochfeine Garne. Zudem sicherte er sich neue Kunden und Lieferanten. Dank dieses Wissens und der Grösse seiner Unternehmungen erreichte er in der Schweiz bald eine bedeutende, wenn nicht beherrschende Marktstellung.

Heinrich Kunz war ein bedeutender Investor, auch im Eisenbahnbau

In den späteren Jahren begann Heinrich Kunz sein Vermögen zu diversifizieren. Er investierte einerseits bei anderen Textilfabrikanten, andererseits aber auch in anderen Wirtschaftsbereichen. So besass er beispielsweise mit über 300’000 Franken 5 Prozent der inländischen Aktien der Nordostbahngesellschaft.

Die Familienmitglieder spielten eine entscheidende Rolle im Unternehmen

Heinrich Kunz war ein Einzelgänger. Bei der Führung des Unternehmens setzte er besonders stark auf Familienangehörige wie seine beiden Schwester Susanna und Elisabetha sowie seine Nichte Susette, die privat wie geschäftlich zu seinen Vertrauenspersonen gehörten.

Fehlende Empathie und endlose Streitigkeiten

Arbeitsgesetze gab es damals kaum. Entsprechend hart waren die Arbeitsbedingungen in den Fabriken, auch bei Heinrich Kunz. Kinderarbeit, überlange Arbeitstage und unmenschliche Bedingungen sah er gerechtfertigt, da viele Menschen nur dank der Fabriken überhaupt Arbeit und Einkommen hatten. Das führte zu Konflikten mit der Arbeiterschaft bzw. mit deren Vertretern, wobei es vornehmlich um die Arbeitszeiten ging. Vor Gericht gelangten diese Auseinandersetzungen aber selten, ganz im Gegenteil zu den Wasserrechten, die bei fast jedem Fabrikbau zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führten.

 

Edition der Heinrich-Kunz-Briefe

Parallel zum Pionierband werden 34 Originaldokumente – zumeist Briefe von und an Heinrich Kunz – in einer Edition herausgegeben. Die erstmals zugänglichen Briefe zeigen, wie Heinrich Kunz unbeirrt seine Meinung vertrat. Sie verraten aber auch bislang unbekannte, gefühlvolle Züge seiner Persönlichkeit.