Die Schweiz ist ein Land der Pioniere – doch warum eigentlich? Neben gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen sind auch geeignete politische Rahmenbedingungen unabdingbar, damit in einem Land Pionierleistungen erbracht werden können. Was also hat die Schweiz in der Vergangenheit getan, um Pionierleistungen zu ermöglichen, und wo sieht sie heute die Herausforderungen?
Die Doppelrevolution von 1848
Die Schweiz war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Land der Armen. Zwar war die Protoindustrialisierung in der Textilwirtschaft oder in der Uhrenindustrie weit fortgeschritten und zahlreiche Pioniere traten in verschiedenen Wirtschaftsbereichen hervor. Doch erst der 1848 gegründete Bundesstaat sorgte mit der Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraums und zahlreichen liberalen Gesetzen für den fulminanten Aufstieg der Schweiz zum erstklassigen Wirtschaftsstandort.
Vom politischen Wunder zum Sonderfall
Die Gründung der ersten liberal-demokratischen Republik in Europa aus dem rückständigen Staatenbund kam einem politischen Wunder gleich. Das erfolgreiche Bestehen gründete nicht zuletzt im gleichzeitig stattfindenden Wirtschaftsaufschwung. Darüber hinaus sorgten verschiedene Eigenheiten dafür, dass aus dem politischen Wunder ein politischer Sonderfall wurde: Ein ausgeprägter Föderalismus sorgte für eine gebührende Machtbeschränkung der zentralen Elite, was die wirtschaftliche Freiheit ungemein förderte. Die eigenartige Ausgestaltung des Bundesrates mit sieben gleichgestellten Regierungsmitgliedern sorgte für eine einzigartige Stabilität. Und die in der Folge erfolgreich behauptete Neutralität ermöglichte eine wirtschaftlich starke internationale Vernetzung.
Liberalismus und direkte Demokratie – eine fast perfekte Vermählung
Die Jahrzehnte nach 1848 gelten als DIE wirtschaftsliberale Epoche der Schweiz. Neue Wirtschaftsbereiche, allen voran die Eisenbahn, prägten die Schweiz und ermöglichten es einer Generation von Pionieren, unternehmerisch aktiv zu werden. Entscheidend dabei war ihre Verflechtung zwischen Wirtschaft und Politik. Dank der indirekten (repräsentativen) Demokratie – die Volksrechte Referendum und Initiative gab es damals nicht – konnten sie auch auf der politischen Ebene eine fast ungehinderte Macht ausüben. Es wäre nun aber falsch, den Wirtschaftsliberalismus grundsätzlich von einem repräsentativen politischen System abhängig zu machen. Denn im Grundsatz kommt die direkte Demokratie dem Liberalismus am nächsten. Nicht zuletzt deshalb, weil beide auf dem Grundwert der Selbstbestimmung beruhen. Schliesslich beweist auch die Entwicklung der Schweiz, dass sich direkte Demokratie mit Wirtschaftsliberalismus bestens verträgt. So gab es auch nach der Einführung der direktdemokratischen Volksrechte ab 1874 bis heute unzählige neue Pioniere in den verschiedensten Wirtschaftsbereichen.
Wissenschaftsdiplomatie für künftige Herausforderungen
Die ausgeprägte Globalisierung, angetrieben durch die rasante Digitalisierung, verlangt nun aber auch, dass auf internationaler Ebene Rahmenbedingungen für künftige Pionierleistungen geschaffen werden. Gerade die Digitalisierung wird im Zuge neuer Computertechnologien wie Quantencomputing Herausforderungen und Chancen mit sich bringen, die nur im internationalen Rahmen gemeistert bzw. genutzt werden können – so, wie die Herausforderungen und Chancen im 19. Jahrhundert einen Bundesstaat verlangten. Ein Beispiel für die Bestrebungen der Schweiz, diesen neuen Voraussetzungen innovativ zu begegnen, liefert die 2019 gegründete Stiftung «Geneva Science and Diplomacy Anticipator». In der Zusammenarbeit von Wissenschaft, Diplomatie, Wirtschaft und Bürgergesellschaft werden dort mögliche technologische Entwicklungen der Zukunft beschrieben, ihre Auswirkungen für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft diskutiert sowie Lösungsansätze erarbeitet.