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Rudolf Gottfried Bindschedler – Vom Kirchenrecht zum internationalen Banking

Schon im frühen 20. Jahrhundert nahmen Schweizer Wissenschafter an internationalen Verhandlungen teil; so auch Rudolf Gottfried Bindschedler (1883–1947), der als promovierter Kirchenrechtler bei verschiedenen internationalen Verhandlungen in Bankangelegenheiten teilnahm.

 

Schule und Ausbildung  

Am 9. Juli 1883 kam Rudolf Gottfried Bindschedler als ältester Sohn des Mediziners Rudolf Gottfried Bindschedler (1843–1915) in Zürich zur Welt. Er besuchte die obligatorischen Schulen in Zürich und begann nach der Maturität ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich. Er promovierte 1906 mit summa cum laude in Kirchenrecht. Seine erste Stelle hatte er als Zweiter Sekretär unter Alfred Frey beim Schweizerischen Handels- und Industrieverein («Vorort»), wo er vor allem Fragen des Zolltarifs, des neuen Fabrik- und des neuen Postgesetzes bearbeiten musste.

Einstieg in die Finanzbranche

Im Jahre 1909 erhielt Bindschedler bei der Bank Leu & Co. die Stelle eines Direktionssekretärs, und 1919 berief ihn die Schweizerische Kreditanstalt (SKA) in die Zentraldirektion, wo er bis Ende 1936 bleiben sollte. Bei der SKA leitete er das schweizerische Effektengeschäft sowie das internationale Kommissionsgeschäft.

Internationales Banking

Bald nahm er an verschiedenen internationalen Verhandlungen, wie über die Dawes- und Young-Anleihen oder die ersten französischen Anleihen nach dem Ersten Weltkrieg teil. Der Kirchenrechtler wurde zu einem der wichtigsten Schweizer Bankiers auf internationalem Parkett in der Zwischenkriegszeit. Denn er reiste auch in die USA, um die durch den Ersten Weltkrieg unterbrochenen alten Verbindungen wiederaufzunehmen, indem er verschiedene Grossbanken besuchte.

Die Folgen des Börsenkrachs von 1929

Aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung und den exzellenten Kontakten zur amerikanischen Finanzwelt, Industrie und Politik waren die Berichte von Rudolf Bindschedler aus den USA bankintern meinungsbildend. Zwar sah auch er den Börsenkrach im Oktober 1929 nicht voraus. Doch umso deutlicher wies er auf die moralischen und psychologischen Folgen des Börsensturzes und damit auf die problematische Kehrseite des aggressiven Marketings von Anlagepapieren hin. So schrieb er 1930: «Der scharfe Börsenkrach von 1929 hat viel gewaltigere Verluste gebracht, als man sich in Europa vergegenwärtigt. Tausende von Leuten haben ihr gesamtes Vermögen verloren. […] Die Folge dieser masslosen Spekulation und der daraus resultierende Verlust haben neben dem materiellen Verluste ein moralisches Debakel ausgelöst.»

Wissenschaft und Soziales

In seiner Biographie spiegeln sich wirtschaftlicher Erfolg, akademische Bedeutung und bürgerliches Engagement. So engagierte sich Rudolf Bindschedler zeitlebens für die Universität Zürich, die ihn schliesslich zum ständigen Ehrengast ernannte. Und die von ihm gegründete «Familienstiftung Rudolf G. Bindschedler» bezweckt die Unterstützung an die Nachkommen sowie spricht Zuwendungen an wohltätige, gemeinnützige, wissenschaftlich tätige oder kulturelle Organisationen.

Alfred Escher – Gründer der Schweizerischen Kreditanstalt

Die Verwerfungen in der schweizerischen Bankenbranche haben, wie so oft in Krisenzeiten, den Blick auch in die Vergangenheit schweifen lassen; und damit zu Alfred Escher (1819–1882), der 1856 als treibende Kraft hinter der Gründung der Kreditanstalt einem neuen Bankentypus in der Schweiz zum Durchbruch verhalf.

 

Die Schweiz im Eisenbahnfieber

Die neue Bundesverfassung von 1848 setzte die Rahmenbedingungen für einen modernen Wirtschaftsraum Schweiz. Doch der entscheidende Impuls zum unvergleichlichen Wirtschaftswachstum der jungen Schweiz wurde 1852 gegeben, als die Eidgenössischen Räte mit ihrem Jahrhundertentscheid den privaten Eisenbahnbau befürworteten. Damit waren gleichsam die Schleusen geöffnet und innerhalb von acht Jahren wurden 800 Kilometer Schiene verlegt, sämtliche grossen Städte des Mittellandes von Genf bis nach Chur waren miteinander verbunden. Alfred Escher, der die Eisenbahnfrage bereits 1849 zum drängenden Problem erklärte, war der wesentliche Treiber hinter diesem Entscheid.

Abhängigkeit von ausländischem Kapital

Alfred Escher übernahm 1853 das Präsidium der neufusionierten Nordostbahn. Er verstand es, von Zürich aus in horrendem Tempo einen Schienenstrang nach Romanshorn zu realisieren, wo über den Bodensee der Süddeutsche Raum erschlossen werden konnte. Doch der rasante Ausbau des Schienennetzes bedurfte viel Risiko-Kapital, das von den inländischen privaten Bankhäusern nicht bereitgestellt werden konnte. Deshalb gerieten die schweizerischen Eisenbahngesellschaften in immer stärkere Abhängigkeit von ausländischen Banken.

Der Befreiungsschlag: eine eigene Bank

In dieser Situation nahm Alfred Escher die Idee von Caspar Hirzel-Lampe auf, der die Gründung einer Kredit-Bank in Zürich nach dem Vorbild der Allgemeinen Deutschen Credit-Anstalt in Leipzig vorschlug. Diese erklärte sich denn auch bereit, die Hälfte des Aktienkapitals zu übernehmen. In seinem Bestreben, eine echt schweizerische Bank zu gründen, erreichte Escher aber, dass die Leipziger nur zwei von fünfzehn Verwaltungsräten stellen konnten. In einer ersten Runde sollten 6000 Aktien zu einem Nominalwert von je 500 Franken öffentlich aufgelegt werden. Nachdem im Vorfeld der Erfolg dieser Subskription kontrovers diskutiert wurde, entwickelte sie sich zu einem einmaligen Ereignis in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Denn nach drei Tagen waren 442’539 Aktien gezeichnet, womit das vorgesehene Aktienkapital um das 70fache überzeichnet war.

Die Lokomotive der Schweizer Volkswirtschaft

Dieser fulminante Start zeigte, dass die Schweizerische Kreditanstalt SKA nicht nur ein Bedürfnis der Wirtschaft war, sondern ebenso von unzähligen Bürgern, die ihr Geld in Aktien investieren wollten. Als Verwaltungsratspräsident bestimmte Alfred Escher den Kurs der Kreditanstalt. Neben der Finanzierung von Eisenbahnprojekten – die SKA wurde zur eigentlichen Hausbank der Nordostbahn – widmete sich die Kreditanstalt dem Aufbau unzähliger Firmen und Wirtschaftsbereiche. An erster Stelle ist die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt zu nennen, die 1857 als rechtlich eigenständige Gesellschaft, faktisch aber als eine Abteilung der Kreditanstalt gegründet wurde. Doch auch in der Industrie und im Tourismus entfaltete die SKA unter Alfred Escher eine für die Schweiz segensreiche Wirkung. Schliesslich stand Eschers Bank auch im Zentrum der Finanzierungsbemühungen der Gotthardbahn, die als helvetisches Weltwunder betitelt wurde.

 

Bücher zur Finanzgeschichte

Eine vertiefte Auseinandersetzung mit ausgewählten Themen der Schweizer Finanz- und Bankengeschichte leistete der 1990 gegründete Verein für Finanzgeschichte. Zu den Themen zählten unter anderem das Bankgeheimnis oder die Rolle der Banken im Zweiten Weltkrieg. Der Verein für Finanzgeschichte hat 2018 seine Tätigkeit eingestellt. Seither sind dessen Publikationen über unsere Website www.pioniere.ch mehrheitlich kostenlos zu beziehen.

Erhard Mettler – der Tüftler von klein auf

Die «Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik» beleuchten nicht nur die grossen Leistungen der Pioniere, sondern auch ihre Persönlichkeit und ihr soziales Umfeld. Um die Pioniere besser zu verstehen, ist der Blick auf ihre Kindheit und Jugend wichtig. So auch bei Erhard Mettler (1917–2000), der bereits als Kind einen wachen Geist und Tatendrang erkennen liess, dafür aber in der schulischen Laufbahn wenig Erfolg hatte.

 

Wohlbehütete Kindheit und Jugend

Hans Mettler (1876–1945), Erhards Vater, war Miteigentümer der traditionsreichen Textilhandelsfirma Mettler & Co. Er war für Erhard eine ruhige Respektsperson, aber das Verhältnis blieb distanziert. Einen Eintritt ins väterliche Textilgeschäft zog Erhard nie ernsthaft in Erwägung, da es ihm als ein «freudloses Geschäft» vorkam. Seine Mutter, Alice Mettler-Weber (1889–1978) entstammte einer grossbürgerlichen Winterthurer Industriellenfamilie. Die Familie mit vier Kindern – Erhard war das zweitjüngste – bewohnte eine schlossähnliche Villa oberhalb von St. Gallen. Trotz dieser privilegierten Welt wurden die Kinder zu Bescheidenheit und Arbeitsamkeit erzogen.

Von der Volksschule ins Internat

Gemäss eigenen Aussagen war Erhard Mettler ein schlechter Primarschüler. Die strenge Disziplin war für ihn unangenehm einengend, «Tatzen» und andere Strafen die harte Folge davon. Umso lieber bastelte und tüftelte er allerlei im Wald oder in der Scheune. Das Landerziehungsheim Glarisegg war deshalb die richtige Fortführung nach der Primarschule. Denn dort stand eine ganzheitliche, auf selbständiges Lernen und Handeln ausgerichtete Pädagogik im Vordergrund. Erhard Mettler betätigte sich sportlich und hielt sich oft und gerne in der Schreinerei, der Schlosserei und dem Fotolabor auf. Unter den vielen Eigenkonstruktionen befanden sich ein Radio und ein Topfmagnet, mit dem er sogar das Auto des Vaters heben konnte.

Feinmechanikerlehre und Technikum

Trotzdem fiel ihm das Lernen schwer. Erhard Mettler war ein Praktiker, was seine Eltern aber lange Zeit nicht einsehen konnten. Nach einer Berufsberatung absolvierte er schliesslich eine Feinmechanikerlehre in Winterthur, wo er auch seine erste Präzisionswaage baute. Das Technikum in Winterthur besuchte Mettler nur ein Semester lang, dann ging er in einen Sprachaufenthalt, bevor er im Herbst 1939 in den Militärdienst einrücken musste.

Wertvolle Erfahrungen und Kontakte im Militär

Im Gegensatz zur Schule sagte das Militär Erhard Mettler zu. In der Artillerie-Offiziersschule erhielt er die Möglichkeit, Menschen zu führen und Verantwortung zu übernehmen. Während des Aktivdienstes war Max Schmidheiny (1908–1991) sein Vorgesetzter. Bei ihm lernte er nicht nur eine klare Befehlsausgabe und menschliche Führung kennen, sondern auch die Firma Wild Heerbrugg im St. Galler Rheintal, dessen langjähriger Patron Schmidheiny war.

Der Drang zur Selbständigkeit

Im Frühling 1941 trat Erhard Mettler eine Stelle als Feinmechaniker bei der Wild Heerbrugg an. Die hochpräzise Arbeit motivierte ihn sehr, doch bereits nach wenigen Jahren genügte ihm das Angestelltendasein nicht mehr. Er wollte selbständig werden und besuchte eine Handelsschule. Auf der Suche nach einem Tätigkeitsgebiet begutachtete er die Instrumente in den Laboratorien der ETH. Sein Fazit: «Bei den Waagen bemerkte ich, dass sie veraltet waren und dass hier Potential für eine Modernisierung bestand. Von allen Geräten war die Waage auch das teuerste.» Und so kam es, dass er im Sommer 1945 in einer Werkscheune in Küsnacht (ZH) mit der Konstruktion neuer Waagetypen begann. – 35 Jahre später verkaufte er die Mettler Instrumente AG mit über 2200 Mitarbeitern, Vertretungen in 128 Ländern und einer Viertelmilliarde Franken Jahresumsatz.