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General Dufour: Zu seinem berühmten Tagesbefehl vom 5. November 1847

Wie General Dufour die Schweiz vor einem Blutbad bewahrte

Vorwurfsfrei aus dem Bürgerkrieg hervorgegangen

Aufbruch zum modernen St. Gallen – vier Wegbereiter

Gallus Jakob Baumgartner, Johann Matthias Hungerbühler, Daniel Wirth-Sand und Arnold Otto Aepli haben die Geschicke des jungen Kantons St. Gallen geprägt: Sie übernahmen in stürmischen Zeiten Verantwortung für Staat und Gesellschaft, ihre modernen Unternehmen brachten Wohlstand, ihre Eisenbahnprojekte waren visionär. Doch Aufbruch, Durchbruch, Abbruch und Rückschlag lagen nahe beieinander.

Der Fortschritt kommt auf der Schiene

Die Geschichte des Kantons St. Gallen war im 19. Jahrhundert geprägt von wirtschaftlichem Fortschritt und politischen Gegensätzen. Die vier Pioniere veranschaulichen das beispielhaft.  Als langjährige Grossräte, Regierungsmitglieder und eidgenössische Parlamentarier sorgten sie für die gesetzlichen Grundlagen und Infrastrukturen des Fortschritts. Den politischen Tatendrang kombinierten sie mit privatwirtschaftlicher Schaffenskraft – dank ihnen fuhr 1856 der erste Zug in St. Gallen ein. Zudem gründeten sie Handelshäuser, Banken und Ver-sicherungen und engagierten sich in sozialen Institutionen.

Politische Gegensätze: konservativ, liberal und radikal

Ihrem gemeinsamen Streben nach Fortschritt standen unterschiedliche gesellschaftspolitische Positionen entgegen. Denn die vier Pioniere verkörpern die verschiedenen Lager, die sich im 19. Jahrhundert im Kanton St. Gallen, aber auch schweizweit gegenüberstanden. Hier die Radikalen und Liberalen, dort die Konservativen.

Baumgartner: Infrastrukturpolitiker und Regent des Kantons

Gallus Jakob Baumgartner (1797–1869) war die dominierende Figur in der St. Galler Regierung nach 1831. Bereits in jenen Jahren entwarf er Pläne für eine alpenquerende Schienenverbindung. Damit war er seiner Zeit voraus. Gleichwohl trieb er den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und die Erschliessung der Regionen erfolgreich voran. Nachhaltig waren zudem seine Innovationen im Bereich des Staatsrechts und des Bildungswesens.

Hungerbühler: liberaler Eisenbahnpolitiker mit Gemeinsinn

Dass 1852 die eidgenössischen Räte den privaten Eisenbahnbau befürworteten, war massgeblich das Verdienst von Johann Matthias Hungerbühler (1805–1884); ebenso, dass bereits ein halbes Jahr später die St. Gallisch-Appenzellische Eisenbahngesellschaft gegründet werden konnte. Als Regierungsrat setzte Hungerbühler zahlreiche Strassen- und Wasserbauprojekte um, die der Wirtschaft kräftige Impulse gaben und auch armen Regionen bescheidenen Wohlstand brachten.

Wirth-Sand: Kämpfer für eine Ostalpenbahn

Im Jahr 1856 wurde die St. Gallisch-Appenzellische Eisenbahn in die neugegründeten Vereinigten Schweizerbahnen integriert. Mit ihr trat Daniel Wirth-Sand (1815–1901) an die Spitze der Ostschweizer Eisenbahnen. Zwar vermochte er das Eisenbahnnetz auszubauen und die Vereinigten Schweizerbahnen zu stärken. Doch seine Amtszeit war geprägt von finanziellen Herausforderungen und vor allem vom Versuch, eine Ostalpenbahn zu errichten. Darin scheiterte er – zusammen mit den anderen St. Galler Pionieren spektakulär.

Aepli: der Mann der Mitte

Auch Arnold Otto Aepli (1816–1897) beschäftigte sich mit der eisenbahntechnischen Erschliessung der Ostschweiz. Doch profilierte er sich in erster Linie nicht als Wirtschaftsführer. Seine Juristenlaufbahn führte ihn 1862 ins Präsidium des Bundesgerichts. Zugleich gehörte er dem Ständerat und der St. Galler Kantonsregierung an. Später wurde er Eidgenössischer Kommissär in Grenzkonflikten, liberaler Vermittler von Kirche und Staat, dann sogar Gesandter der Schweiz in Wien.

Guillaume Henri Dufour – Einigkeit, Freiheit, Menschlichkeit

Die Schweiz wurde zu Lebzeiten Guillaume Henri Dufours (1787–1875) vom maroden Staatenbund vor 1798 zum modernen Bundesstaat nach 1848, vom Armenhaus Europas zu einer aufstrebenden Wirtschaftsnation. Dabei gibt es wohl niemanden, der diese bewegte und bedeutende Zeit in solchem Masse aktiv mitgestaltete und prägte wie Guillaume Henri Dufour.

Zwischen Revolution und Freiheit: Als Franzose für Napoleon

Grosse Umbrüche und einschneidende Ereignisse prägten zu Lebzeiten Guillaume Henri Dufours (1787–1875) die Schweizer Geschichte. Bereits seine Geburt 1787 fand im Zeichen des Umbruchs statt. Er wurde in Konstanz geboren, wohin seine Eltern nach einem Umsturz in Genf via Irland emigriert waren. 1798, Dufour war elfjährig, marschierten die Franzosen in Genf ein und beendeten die Zeit des Ancien Régime. Während der Napoleonischen Herrschaft über die Schweiz studierte Dufour an den Militärakademien in Paris und Metz, bevor er als Offizier der französischen Armee nach Korfu abkommandiert wurde.

Als Genfer im Staatenbund: für die Einigkeit der Eidgenossenschaft

Die Verbannung Napoleons 1815 liess Dufour definitiv nach Genf zurückkehren. In der Folge erlebte er als Grossrat und Tagsatzungsgesandter die politischen Spannungen und Umstürze während der Restauration ab 1815 und der Regeneration ab 1830 mit. Auch der wirtschaftliche und technische Fortschritt sowie das aufkeimende Nationalbewusstsein in der Schweiz spiegeln sich in seiner Biografie: Dufour war Ingenieur von Brücken und beteiligte sich am Bau von Eisenbahnlinien. Als Kommandant der Militärschule in Thun lancierte er die Schaffung einer Schweizer Fahne. Und sein persönlicher Höhepunkt war gleichzeitig die entscheidende Wende auf dem Weg zur modernen Schweiz: Seine Glanzleistung im Sonderbundskrieg 1847 machte ihn zu einer prägenden Figur der Schweizer Geschichte.

Nach der Bundesstaatsgründung: Als Schweizer für die Menschlichkeit

Auch nach der Bundesstaatsgründung 1848 blieb Dufour mit der Entwicklung der Schweiz verbunden. Sein Lebenswerk, die zwischen 1832 und 1864 erstellte Dufourkarte, symbolisiert die Einigung der Schweiz, die es nach der gesellschaftlichen Spaltung in den 1840er Jahren und durch den Sonderbundskrieg zu erreichen galt. 1849, 1856 und 1859, in Zeiten äusserer Bedrohung, wurde Dufour erneut zum Oberbefehlshaber der Schweizer Armee gewählt, jederzeit bereit, die Neutralität und Unabhängigkeit der jungen Schweiz mit Waffen zu verteidigen. Verschiedentlich traf man ihn auch bei Napoleon III. in Paris in Sondermission, und so wurde Dufour Teil der schweizerischen Diplomatie. Schliesslich beteiligte er sich 1863 an der Gründung des IKRK, dessen humanitäres und neutrales Engagement zum Selbstverständnis schweizerischer Aussenpolitik werden sollte.