Die Geschichte von Zermatt auf dem Weg in die weltweite Topliga der Tourismusdestinationen ist eng mit dem Namen Seiler verbunden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bauen Alexander Seiler und seine Frau Catharina Seiler-Cathrein ein einzigartiges Hotelimperium auf. Die unternehmerische Leistung der Familiendynastie ist mehr als beeindruckend. Über eine Zeit lang verfügten die Seilers über sämtliche Hotelzimmer am Matterhorn.
Kommt die Sprache auf Walliser Tourismuspioniere, fällt ziemlich rasch der Name Cesar Ritz, der sich in der Luxushotellerie einen Namen rund um den Globus machte. Weniger bekannt ist die Pionierrolle von Alexander und Catharina Seiler-Cathrein. Mit Ausnahme einer in jeder Beziehung gewichtigen Familienchronik fehlt – aus was für Gründen auch immer – bis jetzt eine Publikation, welche die imposante Leistung des Hotelierpaares ins öffentliche Bewusstsein gerückt hätte. Diese Lücke schliesst nun Urenkel Stephan Markus Seiler mit dem Buch über das Leben und Schaffen von Alexander und Catharina Seiler-Cathrein, welches dieser Tage erscheint.
Die anderen Seilers
Der Autor setzt mit seinem Werk nicht nur seinem Urgrossvater ein Denkmal, sondern holt auch seine Urgrossmutter als gleichberechtigte Partnerin des Seiler-Imperiums aus dem langen Schatten Alexanders. Stephan Markus Seiler korrigiert damit das landläufige Geschichtsbild, in dem fast ausschliesslich Männer in der Galerie der Hotelpioniere erscheinen. Den Frauen blieb eher die Rolle als schaffende Geister im Hintergrund. Bei den Seilers war das anders.
Der Gommer Kleinunternehmer und die Tochter aus gutbürgerlicher Briger Familie ergänzten sich in kongenialer Weise. Der Historiker Joseph Jung schreibt in seinem Vorwort: «Und manche der illustren Gäste, die Catharina und Alexander Seiler als Gastgeber in den höchsten Tönen lobten, sprachen der Hotelière die Hauptrolle zu.»
Führungspersönlichkeit und Hausfrau
Es ist müssig, im Rückspiegel darüber zu räsonieren, welche Richtung Alexander Seilers Karriere genommen hätte, wenn er nicht Catharina Seiler-Cathrein an seiner Seite gehabt hätte. Sie war auf jeden Fall mehr als die starke Frau, die ihrem Mann den Rücken freihielt.
Die Beiden führten für die damalige Zeit eine moderne Ehe. Catharina Seiler-Cathrein führte das operative Tagesgeschäft der Hotels selbstständig und erledigte sämtliche Korrespondenz, während Alexander Seiler in erster Linie für die Versorgung und die Weiterentwicklung der Hotels zuständig war.
Catharina Seiler übernimmt wie selbstverständlich die operative Führung der Seiler-Hotels beim Tode ihres Mannes im Jahre 1891. Dannzumal umfasst das Unternehmen allein sieben Hotels in Zermatt und ist das Hotelunternehmen mit den meisten Betten in der Schweiz.
Für die Frau des Hauses, die sich sehr karitativ betätigt, kommen noch die Mutterpflichten dazu. Catharina schenkte in 18 Jahren insgesamt 16 Kindern das Leben, wovon elf das Erwachsenalter erreichten. Die Seiler-Buben geniessen das Privileg einer humanistischen und akademischen Ausbildung und absolvieren in der Regel das streng katholisch geführte Internat Stella Matutina in Feldkirch. Mit dem ausgewiesenen Bildungsrucksack übernehmen sie später die Führung der Seiler-Hotels und belegen wie Alexander der Jüngere und Hermann wichtige politische Ämter. Sie bringen ihre wirtschaftsliberalen Ideen mit und rütteln gehörig an der festgefahrenen erzkonservativen Walliser Politik.
Die Tiroler Familie Cathrein
Catharinas Grossvater, der Maurer Johann Cathrein, war von Fiss im Tiroler Oberinntal ins Wallis eingewandert und heiratete 1887 Barbara Schmid von Raron. Sohn Andreas liess sich 1828 in Brig nieder. Als Major stand er eine Zeit lang in französischen Diensten. Danach betrieb er eine Eisenwarenhandlung, betätige sich auch als Flösser und bekleidete das Amt des Friedensrichters und des Präfekten im Bezirk Brig, was seine Stellung in der Briger Gesellschaft unterstreicht. Aus der Ehe mit Katharina Venetz entsprossen zehn Kinder. Als ältestes kam Tochter Catharina am 12. März 1834 zur Welt.
Wie so üblich musste sie sich um die jüngeren Geschwister kümmern. Sie genoss aber eine solide Ausbildung, was zu jener Zeit für ein Mädchen eher die Ausnahme war. Nach der Primarschule arbeitete sie als Haustocher bei Staatsrat Joseph Samuel Gross in Martinach. Im Hause Gross lernte sie die französische Sprache und kam mit den liberalen und freiheitlichen Ideen in Kontakt. Zurück in Brig half sie in der elterlichen Eisenwarenhandlung mit und bildete sich in Buchhaltung und kaufmännischer Korrespondenz weiter. In der Freizeit beschäftigte sich Catharina bevorzugt mit Literatur und Kunst. 1857 heiratet Catharina den 14 Jahre älteren Alexander, der seit Längerem in geschäftlichem Kontakt mit Vater Cathrein steht. Das Paar nimmt in Brig Wohnsitz.
Der Bergbauernbub
Alexander Seiler kam am 21. Februar 1820 in Blitzingen auf die Welt. Die Eltern Christian Johann Joseph Seiler und Maria Josepha, geborene Bürcher, führten einen kleinen Landwirtschafts- und einen Schreinereibetrieb. Alexander machte mit zwei Brüdern und drei Schwestern die klassische Entwicklung der Buben jener Zeit mit. In der elterlichen Landwirtschaft wurde jede Hand gebraucht, im Sommer ging es als Geisshirte auf die Alpen und in den Wintermonaten folgte der Schulunterricht beim Dorfpfarrer.
Die Seilers waren nicht arm und nicht reich, schreibt Autor Stephan Seiler zu den Familienverhältnissen. Immerhin durfte der älteste Sohn Joseph studieren, er sollte Priester werden. Der Start in die Berufskarriere von Alexander Seiler gestaltet sich alles andere als geradlinig. Nichts deutet in den ersten Jahren auf den Erfolg hin, der noch kommen sollte. Zuerst organisiert Joseph vom Priesterseminar in Sitten aus seinem jüngeren Bruder eine Lehrstelle als Seifensieder in Munderkingen in Baden-Württemberg. Alexander lernt hier nicht nur das Handwerk, sondern erwirbt auch kaufmännische Kenntnisse. In einem Brief vom 21. Dezember 1841 an seinen Bruder schreibt er, «es ist ein Glück, dass ich in Deutschland bin, nicht nur für mich, sondern für die ganze Familie, weil ich vieles lernen kann» und dass die Mutter unbekümmert sein solle.
Harziger Start ins Unternehmertum
Und wieder ist es Student Joseph, der die Vorarbeiten für die Gründung einer Seifen- und Lichter-Fabrik in Sitten leistet. Im Juli 1842 unterschreiben die drei Seiler-Brüder Joseph, Alexander und der erst 15-jährige Franz mit dem Ratsherrn Peter Xaver von Riedmatten, der das nötige Kapital bereitstellt, einen Gesellschaftsvertrag. Das Geschäft schleppt sich zäh dahin. Offenbar hat niemand auf die neue Firma gewartet. Geldgeber von Riedmatten schiesst nochmals Geld ein. Vergeblich ersuchen die Brüder Seiler beim Staatsrat um Erlass oder Reduktion der Importsteuer auf die Rohstoffe für die Seifenproduktion.
Im Herbst 1843 bekommt Joseph Seiler ein Stipendium für das Collegium Helveticum am Mailänder Seminar, wo er das vierjährige Theologiestudium beginnt. Auf sich allein gestellt handelt Alexander mit Produkten und Lebensmitteln aller Art und versucht sich gar im Schnapsbrennen, um das Geschäft über Wasser zu halten. Aus Mailand meldet sich Bruder Joseph mit gut gemeinten Ratschlägen, aber auch heftigem Tadel. Alexanders häufige Frauengeschichten sind bis nach Mailand durchgesickert.
1847 wird Joseph Seiler im Mailand zum Priester geweiht. Statt des gewünschten Lehrerpostens am Jesuitenkollegium in Brig (nach dem von den katholischen Kantonen verlorenen Sonderbundskrieg wurden die Jesuiten des Landes verwiesen und das Kollegium Brig kurzzeitig geschlossen) schickte der Bischof Joseph Seiler als Kaplan nach Zermatt. Die wie eine Verbannung aussehende Versetzung ins abgelegene Bergdorf sollte sich als Fügung des Schicksals für die Seilers herausstellen.
Seilers visionärer Weitblick
Dem jungen Kaplan entgeht nicht, dass im Sommer zahlreiche Fremde nach Zermatt kommen und Unterkunft suchen. Mit Pfarrer Ruden plant er auf Riffel ein Wirtshaus mit Gästebetten und berichtet seinem Bruder in Sitten von der neuen Geschäftsidee. Die Pläne werden nicht umgesetzt, denn Joseph Seiler wird schon im Herbst 1848 ans wieder eröffnete Kollegium Brig berufen.
Das Geschäft in Sitten wirft trotz allen Schwierigkeiten kleinere Gewinne ab, denn bis 1852 können die Brüder ihrem Teilhaber von Riedmatten alle Schulden vollständig zurückzahlen.
Ein Jahr zuvor war Alexander Seiler dem Ruf nach Zermatt doch noch gefolgt. Der grossartige Anblick des Matterhorns sollte ihn nicht mehr loslassen. Mit visionärem Blick erfasst Alexander Seiler das touristische Potenzial von Zermatts grandioser Bergwelt. Die Tragödie bei der Erstbesteigung des Matterhorns 1865 wirkt als Verstärker des Tourismus.
Im jungen Bundesstaat Schweiz nutzen Pioniere wie Alexander Seiler die wirtschaftlichen Freiheiten und bauen mit ausgeprägten unternehmerischen Fähigkeiten ihre Imperien auf. Verzahnt in der Politik werden sie zu einem eigentlichen Machtfaktor, der auch Neid und Missgunst auslöst, was nicht zuletzt zu einem langen Rechtsstreit um die Einbürgerung der Familie in Zermatt führt.
Legendäre Gastfreundschaft
Seiler weiss instinktiv, was die vornehmlich englische Klientel mit bergsteigerischen Ambitionen von einem Hotel und den dazugehörigen Annehmlichkeiten verlangt. Die gepflegte Gastfreundschaft von Catharina und Alexander Seiler-Cathrein sind legendär.
Die Seilers expandieren gezielt und bauen Hotels auf dem Riffelberg und in Gletsch. Die Führung des stetig wachsenden Konzerns wird auf die Schultern der grossen Familie verteilt. Das Hotelreich wird zum reinen Familienbetrieb.
Das Fazit
Das Buch von Stephan Markus Seiler liest sich als spannend aufbereitete Familiensaga. Interessante Randgeschichten und erstmals veröffentlichte Briefe aus dem Privatarchiv bereichern die 170-seitige Publikation. Darin ist aber auch ein schönes Stück Walliser Geschichte verpackt und wirft einen Blick auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse des Kantons Wallis in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.