Versicherungspionier der Schweiz
«Wie kein zweiter prägte Moritz Grossmann (1830–1910) die Anfänge der Schweizer Versicherungswirtschaft. Dabei war er selbst noch jung, als er 1858 in die Schweiz kam. Mangels einheimischer Versicherungs-Fachleute wurde er, erst 28-jährig, aus Triest nach St. Gallen geholt und zum Direktor der Helvetia Versicherungen ernannt.» – Claudia Wirz
Mit der Industrialisierung kam Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur der technische Fortschritt in die Schweiz, es entstanden auch neue Risiken. Das Bedürfnis, diese Risiken bei einer Schweizer Versicherung zu versichern, folgte auf dem Fusse. Der Schweizer Versicherungsplatz war damals aber erst schwach ausgebildet, was 1858 eine Gruppe von St. Galler Textilindustriellen veranlasste, mit der Helvetia die erste Schweizer Transportversicherung zu gründen. Allein – woher sollte man einen guten Direktor nehmen?
Ein Schweizer war nicht zu finden. Die Wahl fiel deshalb auf den Österreicher Moritz Grossmann.
Grossmann kam 1830 in Galizien als Sohn eines Arztes auf die Welt und genoss seine Ausbildung in Wien, wo er sich neben den Handelswissenschaften mit besonderer Vorliebe der Mathematik hingab. In Triest, wo er seine beruflichen Lehrjahre im Assekuranzgeschäft verbrachte, erreichte ihn – gerade einmal 28 Jahre alt – der Ruf aus St. Gallen. Er sollte für den Rest seines Lebens in St. Gallen bleiben, Schweizer werden und den Schweizer Versicherungsplatz wesentlich prägen.
Hohe Begabung, tiefe Gründlichkeit und unermüdliche Arbeitsfreude – das waren im Urteil seiner Zeitgenossen die Ingredienzen, die ihn zu einer Schweizer Schlüsselfigur dieser Zeit machen sollten. Ein feines Gespür für das Notwendige und Richtige kam hinzu. Unter Grossmanns Führung legte die Helvetia schnell zu. Im Mai 1861 brannte Glarus und der Schaden in der Höhe von rund 10 Millionen Franken war für damalige Verhältnisse gigantisch – ein Fanal. Grossmann hatte sich schon länger mit der Problematik einer Feuerversicherung beschäftigt; Gedanken, die mit der Gründung der Helvetia Feuerversicherungs-Gesellschaft 1861 auch umgesetzt wurden. Ihr Direktor hiess – wenig verwunderlich – Moritz Grossmann.
Doch für Grossmann war die Geschichte damit nicht zu Ende. Im Sommer 1863 legte er dem Verwaltungsrat der Helvetia ein Gutachten und ein Konzept «zur Gründung einer Rückversicherungsgesellschaft in Zürich durch die Schweizerische Kreditanstalt» vor. Damit wollte Grossmann dafür sorgen, dass Prämiengelder und Gewinne im eigenen Land blieben und nicht über den Kanal der Rückversicherung ins Ausland abflossen, wo es solche Gesellschaften schon gab. Und so traten auf Anregung von Moritz Grossmann noch im gleichen Jahr Alfred Escher mit der Kreditanstalt und die Basler Handelsbank auf den Plan. Schnell war die Rückversicherung formell gegründet, auch wenn die ersten Jahren von Krisen geprägt waren.
Grossmann blieb bei der Helvetia bis zu seinem Tod. Doch er war nicht nur Direktor zweier Versicherungen. Er war «mit Leib und Seele der Musik ergeben», wirkte als Kunstmäzen und hatte immer «ein offenes Ohr und ein warmes Herz» für die grösseren und kleineren Wünsche seiner Mitmenschen, wie es in seinen Nachruf heisst. Er war Mitglied in verschiedenen kulturellen Komitees und Kommissionen.