Der Energiepapst
Wie kein anderer stand Michael Kohn (1925–2018) für die Atomenergie. Der Sohn jüdischer Einwanderer studierte in den ungewissen Kriegsjahren Bauingenieur und beteiligte sich an den letzten grossen Wasserkraftwerken in den Alpen. Nach einem Abstecher nach Israel folgte der fulminante Aufstieg an die Spitze der Schweizer Energieszene. Die Kernkraftwerkprojekte Kaiseraugst und Gösgen sind unzertrennlich mit seinem Namen verbunden. Als Vater der Gesamtenergiekonzeption avancierte er schliesslich zum «Energiepapst». Das Wort Ruhestand kannte er nicht, stattdessen engagierte er sich bis ins hohe Alter für die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz.
Michael Kohn erlebte sowohl das Aufkommen der Kernenergie als auch den baldigen Widerstand dagegen nicht nur hautnah mit, sondern war die prägende Figur auf Seiten der Kernkraftwerkbauer. Von Beginn an setzte er auf die Atomenergie und kündigte als Direktor der Motor Columbus AG 1966 das Projekt eines Kernkraftwerks in Kaiseraugst öffentlich an.
Nachdem die Standortgemeinden das Vorhaben zunächst begrüssten, kippte die Stimmung mit der Notwendigkeit von zwei 115 Meter hohen Kühltürmen. Die Fronten verhärteten sich, 1975 besetzten Atomkraftgegner das Baugelände und 1979 kennzeichneten ein Bombenanschlag auf den Informationspavillon sowie der Brandanschlag auf das Auto von Michael Kohn den Höhepunkt der Auseinandersetzungen. Das Projekt war damit faktisch gescheitert.
Eine «Erfolgsstory» spielte sich dagegen in Gösgen ab. Taktisch klug wurden die künftigen Steuereinnahmen auf alle umliegenden Gemeinden verteilt. Nach nur sechsjähriger Bauzeit konnte das KKW Gösgen-Däniken 1979 den Betrieb aufnehmen.
Dass Kohn ein national bedeutender Energiemanager werden würde, war zu Beginn seiner Karriere nicht absehbar. Der studierte Bauingenieur fand eine Stelle bei der Empa, wo er sich mit der Stabilität von Beton auseinandersetzte. Dabei kam er in Kontakt mit Motor-Columbus und den grossen Staumauerbauten in den Alpen. Später ging er für vier Jahre nach Israel, wo mit dem National Water Carrier die Wasserversorgung im ganzen Land verbessert werden sollte.
Der Höhepunkt seiner Karriere stellte das Präsidium der Kommission zur Erarbeitung einer Gesamtenergiekonzeption dar. Einmal mehr war es nebst seinem technischen Wissen der ausgeprägte kaufmännische Sinn und sein Kommunikationstalent, die ihn dafür prädestinierten. Am Schluss präsentierte er dreizehn Szenarien für eine zukünftige Energiewirtschaft.
«Wir gehörten eben doch nicht wirklich dazu!» So kommentierte Michael Kohn die antisemitischen Aktionen, die auch das Geschäft seines Vaters in den 1930er Jahren betrafen. In seiner späteren Karriere war das Judentum offensichtlich nie ein Thema, und auch er selbst bezeichnete sich als «Drei-Tage-Jude». Das änderte sich nach seinem Rückzug aus der Privatwirtschaft, als er das Präsidium des Schweizerischen Israelitischen Gemeindesbundes (SIG) übernahm. Während vier Jahren versuchte er, die oft zerstrittene jüdische Gemeinde für ein pragmatisches Miteinander zu gewinnen – dann gab er das Amt entnervt ab.
Trotzdem engagierte sich Michael Kohn für die jüdische Sache nochmals, nämlich als in den 1990er Jahren die nachrichtenlosen Vermögen zum Top-Thema avancierten, und er zusammen mit anderen jüdischen Vertretern versuchte, den aggressiv auftretenden Amerikanern den schweizerischen Standpunkt verständlich zu machen.