Pionier mit Weitblick
Uster im Zürcher Oberland hat einst zu den wichtigsten Industrieregionen der Schweiz gehört. All die stolzen Fabriken sind verschwunden. Lediglich das über 150-jährige Bauunternehmen Lenzlinger hat überdauert. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass sich das Familienunternehmen immer wieder neu erfunden hat. Die Lenzlinger-Frauen spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Der Gründer des Unternehmens, Joseph Lenzlinger, kommt am 29. März 1824 in Mosnang im Toggenburg (SG) auf die Welt. Er stammt aus einer einfachen Bauernfamilie und wird Zimmermann. In Mosnang arbeitet ein Grossteil der Dorfbewohner als Heimweber und Sticker für Textilhändler aus St. Gallen. Für einen tüchtigen Zimmermann gibt es allerdings kaum ein Auskommen. In Uster hingegen florieren um 1850 nicht nur die Textilindustrie, sondern auch Handel, Handwerk und Gewerbe. Wo die Wirtschaft blüht, und die Bevölkerung wächst, gedeihen auch handwerkliche Betriebe, sagt sich Joseph Lenzlinger und macht sich frohen Mutes als Wanderarbeiter auf den Weg nach Uster
. Im Weiler Rällikon in Egg lernt Lenzlinger das verwitwete Dienstmädchen Margaretha Wäckerlin kennen und heiratet es. Margaretha ist Mutter von vier Kindern, die Joseph Lenzlinger später adoptiert. Das Ehepaar zieht nach Uster, wo die Verhältnisse für einen zugewanderten Handwerker günstig sind. 1862 wagt Joseph Lenzlinger, ohne grosses Anfangskapital einen Zimmereibetrieb zu gründen. Dass die Weichen richtiggestellt werden, dafür sorgt massgeblich Margaretha Lenzlinger-Wäckerlin. Sie kümmert sich nicht nur um die organisatorischen Belange im Betrieb, sondern ist auch bestrebt, ihren vier Kindern aus erster Ehe ein besseres Leben zu ermöglichen. Mit ihrem Ehrgeiz und ihrer Entschlossenheit, sich im aufstrebenden Uster zu etablieren, stellt Margaretha hohe Ansprüche an ihren Mann. Gleichzeitig ist dies seine Motivation, den Namen Lenzlinger durch Leistung unter Beweis zu stellen und an die nächste Generation weiterzugeben.
Josephs Adoptivsohn, Jacques, ist gewillt, dessen Lebenswerk weiterzuführen und den Betrieb zu vergrössern. Er konzentriert sich weiterhin auf den Baustoff Holz und erbaut in Uster und Umgebung diverse, bis heute existierende Chalets. Die dritte Generation Lenzlinger, Hans und Max, führt den Betrieb durch die Kriegs- und Krisenjahrzehnte. Sie geben den Chaletbau auf und erschliessen gleichzeitig neue Gebiete: die Produktion von Telefonstangen, die Herstellung von mobilen Schiessanlagen und Festzelten sowie die industrielle Produktion von Parkett.
Ab 1950 erlebt die Schweiz einen Bauboom. Es ist die grosse Leistung von Urs Lenzlinger aus der vierten Generation, den Betrieb finanziell und organisatorisch neu aufzustellen und den Umsatz zu vervielfachen. Er trennt sich konsequent von nicht mehr ausreichend profitablen Zweigen der industriellen Fertigung und von der Zimmerei und fokussiert sich auf das Ausbaugewerbe. Dabei positioniert Urs Lenzlinger die Firma als schweizweit tätigen Anbieter. Pionierhaft bei Lenzlinger ist ab den 1960er-Jahren die Entwicklung und Produktion von Doppelböden in Büros und Technikräumen. Heute zählt der Betrieb unter CEO Karin Lenzlinger und VR-Präsidentin Annette Lenzlinger zu den führenden Ausbauunternehmen der Schweiz und ist im Bereich der Doppelböden Marktführer. Der einfache Wanderhandwerker und Firmengründer, Joseph Lenzlinger, würde staunen, wie sich der Betrieb in Uster im Laufe der Generationen zu einem Millionenunternehmen entwickelt und stets neue Tätigkeitsgebiete erschlossen hat: von der Zimmerei über den Chaletbau, die Parkettproduktion sowie die Vermietung von Festzelten bis hin zu Doppelböden und Metallbau.
Im Bereich Parkett kämpfte Lenzlinger gegen harte Konkurrenz der anderen Bodenbeläge, vor allem des Linoleums. In einer Werbebroschüre aus dem Jahr 1935 schreibt das Unternehmen: «Ein schöner Würfelboden ist immer der Clou des Salons im vornehmen Haus.»