Einigkeit, Freiheit, Menschlichkeit
Die Schweiz wurde zu Lebzeiten Guillaume Henri Dufours (1787–1875) vom maroden Staatenbund vor 1798 zum modernen Bundesstaat nach 1848, vom Armenhaus Europas zu einer aufstrebenden Wirtschaftsnation. Dabei gibt es wohl niemanden, der diese bewegte und bedeutende Zeit in solchem Masse aktiv mitgestaltete und prägte wie Guillaume Henri Dufour.
Grosse Umbrüche und einschneidende Ereignisse prägten zu Lebzeiten Guillaume Henri Dufours (1787–1875) die Schweizer Geschichte. Bereits seine Geburt 1787 fand im Zeichen des Umbruchs statt. Er wurde in Konstanz geboren, wohin seine Eltern nach einem Umsturz in Genf via Irland emigriert waren. 1798, Dufour war elfjährig, marschierten die Franzosen in Genf ein und beendeten die Zeit des Ancien Régime. Während der Napoleonischen Herrschaft über die Schweiz studierte Dufour an den Militärakademien in Paris und Metz, bevor er als Offizier der französischen Armee nach Korfu abkommandiert wurde.
Die Verbannung Napoleons 1815 liess Dufour definitiv nach Genf zurückkehren. In der Folge erlebte er als Grossrat und Tagsatzungsgesandter die politischen Spannungen und Umstürze während der Restauration ab 1815 und der Regeneration ab 1830 mit. Auch der wirtschaftliche und technische Fortschritt sowie das aufkeimende Nationalbewusstsein in der Schweiz spiegeln sich in seiner Biografie: Dufour war Ingenieur von Brücken und beteiligte sich am Bau von Eisenbahnlinien. Als Kommandant der Militärschule in Thun lancierte er die Schaffung einer Schweizer Fahne. Und sein persönlicher Höhepunkt war gleichzeitig die entscheidende Wende auf dem Weg zur modernen Schweiz: Seine Glanzleistung im Sonderbundskrieg 1847 machte ihn zu einer prägenden Figur der Schweizer Geschichte.
Auch nach der Bundesstaatsgründung 1848 blieb Dufour mit der Entwicklung der Schweiz verbunden. Sein Lebenswerk, die zwischen 1832 und 1864 erstellte Dufourkarte, symbolisiert die Einigung der Schweiz, die es nach der gesellschaftlichen Spaltung in den 1840er Jahren und durch den Sonderbundskrieg zu erreichen galt. 1849, 1856 und 1859, in Zeiten äusserer Bedrohung, wurde Dufour erneut zum Oberbefehlshaber der Schweizer Armee gewählt, jederzeit bereit, die Neutralität und Unabhängigkeit der jungen Schweiz mit Waffen zu verteidigen. Verschiedentlich traf man ihn auch bei Napoleon III. in Paris in Sondermission, und so wurde Dufour Teil der schweizerischen Diplomatie. Schliesslich beteiligte er sich 1863 an der Gründung des IKRK, dessen humanitäres und neutrales Engagement zum Selbstverständnis schweizerischer Aussenpolitik werden sollte.
Topografische Arbeiten in Frankreich und Genf
Seine ersten praktischen Erfahrungen mit topografischen Aufnahmen und Kartierungen machte Dufour in französischen Diensten. 1817 wurde er Kantonsingenieur von Genf. Unter seiner Leitung entstand eine der ersten Kantonskarten, jene von Genf im Massstab 1:25’000. Dabei konnte er auf kleinerer, kantonaler Ebene jene Erfahrungen sammeln, welche ihm später bei seinem kartografischen Hauptwerk auf grosser, nationaler Ebene zum Durchbruch verhalfen.
Aus einem Flickenteppich
Als Guillaume Henri Dufour 1832 zum Oberstquartiermeister der Schweizer Armee gewählt wurde, gehörte auch die Leitung der trigonometrischen Vermessungen der Schweiz zu seinen Aufgaben. Was er vorfand, war ein Flickenteppich aus geodätischen Arbeiten der verschiedenen Kantone. Es galt also, die einheitliche Vermessung der Schweiz vorzunehmen, wobei er die Sternwarte von Bern als Fundamentalpunkt auswählte und den Granitfindling im Hafen von Genf, den Repère du Niton, als Ausgangspunkt für die schweizerische Höhenmessung festlegte. Dessen 376.86 m ü. M. wurden von der Höhe des Chasserals abgeleitet, die zuvor von den französischen Ingenieur-Geografen bestimmt worden war. 1835 konnte die verbindende Triangulation über die Alpen vollendet werden.
Arbeiten im Hochgebirge
Es folgte die topografische Aufnahme jener Gebiete, die noch nicht über qualitativ genügende Karten verfügten. Den kantonalen Topografen musste Dufour exakte Anweisungen über die Aufnahme des Geländes, aber auch des Waldes, von Flüssen, Seen, Strassen und Siedlungen geben. Trotz seiner wiederholten Mahnungen lieferten einige Kantone nur ungenügende Arbeiten ab, indem sie beispielsweise auf die Höhenkurven verzichteten. Die grösste Herausforderung stellte aber die topografische Aufnahme der Alpen dar, die direkt von Dufours Angestellten durchgeführt wurde. Den Bundes-Topografen stellten sich neben den klimatischen Bedingungen und dem schwierigen Gelände im Hochgebirge auch die einheimische Bevölkerung oft ablehnend entgegen.
Das topografische Bureau in Genf
Für die nun anstehenden zeichnerischen Arbeiten eröffnete Dufour auf den 1. Januar 1838 das Bureau topographique fédéral in Genf – obwohl ihm die Tagsatzung die notwendigen Mittel noch gar nicht gesprochen hatte. In seinem Bericht an die oberste Behörde wurde er deshalb deutlich: «So kann es nicht weiter gehen, eher lege ich die Direktion der Arbeiten nieder! Man kann keine Amateure gebrauchen, die machen, was sie wollen. Wir müssen Leute haben, die sich uns ganz widmen, die in der Karte ihre Lebensaufgabe suchen und sehen. Hier und in der Anwendung von mehr Geldmitteln liegt die Ersparnis.»
Schattenschraffen für ein plastisches Bild
In Genf wurden in der Folge aus den Aufnahmeblättern, die im Massstab 1:50’000 oder 1:25’000 gezeichnet waren, eine einheitliche Karte im Massstab 1:100’000 auf 24 Blätter gezeichnet. Dabei entschied sich Dufour für eine Darstellung mit Schattenschraffen. Gegenüber den heute üblichen Höhenkurven waren Schraffen zwar ungenauer. Doch gerade für den ungeübten Betrachter vermittelten Schattenschraffen bereits auf den ersten Blick ein leicht verständliches und plastisches Bild. Der Kupferstich und der Druck waren schliesslich die letzte Herausforderungen für die Publikation, die zwischen 1845 und 1864 erfolgte. Allein der Transport der Kupferplatten von Genf nach Bern, wo der Druck stattfand, oder die Verstählung der Kupferplatten, damit diese sich beim Druck nicht abnutzten, waren für die damalige Zeit ungewohnte bzw. neuartige Vorgänge.
Eine Goldmedaille und ein Berggipfel
Das Resultat war die erste exakte Schweizerkarte, die zudem erstmals die Schweiz als Einheit zeigte – eine wichtige kulturpolitische Errungenschaft und ein Sinnbild für die damalige Zeit. Auf internationaler Ebene gewann die Karte 1855 an der Weltausstellung in Paris eine Ehrenmedaille, weitere folgten. In der Schweiz bedankte sich der Bundesrat mit einem silbernen Tafelaufsatz und mit der Umbenennung der «Höchsten Spitze» der Schweiz in «Dufour-Spitze».