Pionier der Glarner Textilindustrie
(BR) Das Glarnerland war einst ein Zentrum der Schweizer Textilindustrie, mit prägenden Pionierfamilien wie den Leglers und den Jennys. Einer der Gründerväter, Bartholome Jenny-Becker (1770–1836), würde heute, am 18. April, seinen 245. Geburtstag feiern. Anfang des 19. Jahrhunderts sieht er das Potenzial der Weberei und des Baumwolldrucks und gründet die «Barth. Jenny & Cie.» Er legt das Fundament für den Aufstieg des Unternehmens zur zeitweilig grössten Arbeitgeberin im Kanton, wie es die Autorin Andréa Kaufmann im Detail ausführt.
Bartholome Jenny kommt am 18. April 1770 in Ennenda (GL) in einfachen Verhältnissen auf die Welt. Sein Vater verdient seinen Lebensunterhalt als Postbote und Holzfäller. Schon früh will Bartholome in eine höhere Gesellschaftsschicht aufsteigen. In jungen Jahren begibt er sich nach Oberösterreich, um in einer Niederlassung eines Glarnerischen Handelshauses die Handweberei zu erlernen. Zurück in Ennenda arbeitet Bartholome vorübergehend als Friseur und Perückenmacher. Aus seinen insgesamt drei Ehen (seine ersten beiden Frauen versterben früh) gehen insgesamt 16 Kinder hervor, von denen aber nur vier überleben. Im für damalige Verhältnisse fortgeschrittenen Alter von 28 Jahren wagt Bartholome Jenny den Schritt in die Selbstständigkeit und gründet mit seinen beiden jüngeren Brüdern Kaspar und Fridolin den Handebereibetrieb «Barth. Jenny & Cie.» Die Firmengründung fällt in eine Krisenzeit. Die traditionelle Glarner Handspinnerei hat starke Konkurrenz aus England bekommen, weil die dortigen Spinnmaschinen schneller und billiger produzieren. Zudem richtet die Besetzung des Glarnerlands durch die Napoleonischen Truppen schweren Schaden an. Doch Bartholome nutzt die Chance der Krise und erkennt, dass in der Weberei und im Baumwolldruck noch wenig konkurrenzierte Nischen bestehen.
Anfänglich verkauft das Unternehmen die ungebleichten und unbedruckten Tücher direkt an Druckfabrikanten. Mit steigender Nachfrage wollen die Jenny-Brüder aber die Veredelung und den Vertrieb ihrer Produkte stärker kontrollieren. Sie beginnen die Tücher selbst zu bedrucken und exportieren die Stoffe anschliessend nach Italien und von dort aus in den Nahen und Fernen Osten. Seit dem frühen 19. Jahrhundert entwickelt sich die Stoffdruckerei im Glarnerland rasant und wird zum wichtigsten Industriezweig im Kanton. Mit der Strategie Bartholome Jennys, den Stoffdruck zu forcieren, kann sich sein Bruder Fridolin nicht anfreunden. Er sieht die Zukunft der Textilwirtschaft nicht in der Veredelung, sondern in der Mechanisierung und setzt auf die Spinnerei. Fridolin verlässt das Unternehmen und wird Gründer und Stammvater des alsbald ebenfalls blühenden und bis heute bestehenden Unternehmens «Fritz + Caspar Jenny AG» in Ziegelbrücke. Die Weberei Jenny Fabrics produziert heute unter VR-Präsident Caspar Jenny hochwertige Stoffe, aktuell 7 Millionen Laufmeter jährlich.
Bartholome Jenny bleibt auch ohne seinen Bruder auf Erfolgskurs: Unter seiner Ägide schwingt sich das Unternehmen u einem der bedeutendsten Fabrik- und Handelshäuser im Kanton Glarus empor, das bis nach Skandinavien, Übersee und in die Türkei exportiert. Nach dem Tod des Firmengründers im Jahr 1836 fügt sein Schwiegersohn der Firma eine mechanische Spinnerei und Weberei hinzu, so dass der wegweisende Schritt zum grössten vertikal integrierten Unternehmen in der Glarner Textilwirtschaft vollzogen wird. Die wesentlichen Arbeitsschritte der Textiltechnik – Spinnen, Drucken, Weben – sind nun unter einem Dach vereint. So kann das Unternehmen rascher auf Veränderungen im schon damals volatilen Markt und in der Mode reagieren. Das Unternehmen heisst heute «Daniel Jenny & Co.» und wird aktuell von Vertretern der 7. Generation geführt. Es produziert und konfektioniert Baumwollgewebe im Qualitätssegment für Heimtextilien, Bekleidung, Hygieneartikel sowie für technische Zwecke.
Zurück ins 19. Jahrhundert: Damals ist die Konkurrenz unter den Glarner Firmen im Stoffdruck hoch, vor allem auch durch die ebenfalls in Ennenda ansässige grosse Fabrik «Jenny und Cie.». In einem Brief von 1843 beklagen sich die Inhaber on Barth. Jenny & Cie: «Ein neuer Beweis wie unsere Nachbarn J & C die Preise drücken, hatten wir heute wieder […] Wenn diese Herren sogar gegen einen unbedeutenden Krämer soweit sich herablassen & vom Preise weichen, so kann man sich vorstellen, was sie gegen grosse Abnehmer tun.»