Kanton Uris bedeutendster Wirtschaftspionier
Der strukturschwache Gebirgskanton Uri ist mit Unternehmerpersönlichkeiten nicht reich gesegnet. Dafür bietet der bedeutendste Unternehmer von Uri, Adolf Dätwyler (1883-1958), eine spannende Geschichte. «Dätwyler war ein Genie im Riskieren», so das Fazit seines Biographen Hans Rudolf Schmid.
Adolf Dätwyler kommt am 9. Februar 1883 in einer Kleinbauernfamilie aus dem aargauischen Wittwil auf die Welt. In den 1890er-Jahren übersiedelt die Familie nach Uster ins Zürcher Oberland, damals eine der wichtigsten Industrieregionen der Schweiz. Adolf findet eine Lehrstelle als Kaufmann in einer Maschinenfabrik. Mit einem guten Zeugnis in der Hand tritt der 19-Jährige seine Wanderjahre an, die ihn auch nach Italien führen. Nach einem Ausflug nach England zum Erlernen der Sprache arbeitet Dätwyler als Materialeinkäufer bei der Maschinenfabrik Bühler in Uzwil.
1914 liest er ein NZZ-Stelleninserat. Die «Schweizerischen Draht- und Gummiwerke» in Altdorf (heute Dätwyler Holding AG) suchen einen kaufmännischen Direktor. Dätwyler bewirbt sich, obschon er sich der immensen Probleme bewusst ist. Die Firma ist 1902 von fünf Deutschen mit deutschem Kapital unter dem Namen «Zürcher Draht- und Kabelwerke A.G.» gegründet worden, mit Sitz im Zürcher Seefeld. 1910 kommt die Bezeichnung «Schweizerisch» hinzu. Produziert werden die Drähte, Kabel und Isolierrohre in Altdorf. Dank üppiger Kredite durch die Ersparniskasse Uri kann das Unternehmen wachsen, aber ohne Erfolg. Gemäss den Recherchen von Schmid gerät die Ersparniskasse darüber ins Straucheln und wird mit Geldmitteln u.a. der Nationalbank gerettet, woraus die Urner Kantonalbank entsteht. Obschon die Draht- und Gummiwerke-Fabrik vor dem Konkurs steht, übernimmt Dätwyler gegen den Rat vieler Experten die Leitung und reorganisiert das Unternehmen grundlegend. Mit 44 Arbeitern bringt er den Betrieb wieder ans Laufen, unter geschickter Ausnutzung der kriegsbedingen Rohstoffknappheit und Nachfrage.
Doch die Urner Kantonalbank als Hauptaktionärin will die erlittenen Verluste wieder hereinbringen und ist gegenüber Investitionen skeptisch, ja sie prüft sogar die Kaufofferte eines Schweizer Unternehmers aus Paris, der die Anlagen demontieren und in Lyon wieder aufbauen möchte. Dätwyler wehrt sich mit allen Kräften und gewinnt einen Kreis kapitalkräftiger Industrieller für eine Beteiligung. Dieser übernimmt 1917 das Aktienpaket der Kantonalbank. Der Weg für den weiteren Ausbau des Unternehmens ist frei. 1920 verfügt die Familie Dätwyler über die Aktienmehrheit. Im katholisch-konservativen Uri muss Dätwyler um seine Anerkennung kämpfen. Als Zugewanderter, Reformierter und temporeicher Unternehmer wird er kritisch beäugt, das Verhältnis zwischen ihm und den Behörden ist nicht konfliktfrei. Politisch findet er seine Heimat bei den oppositionellen Liberalen (FDP).
Fünf Jahre vor seinem Tod ist Adolf Dätwyler in Uri aber endgültig verwurzelt und erhält ein dreifaches urnerisches Ehrenbürgerrecht verliehen. Ab 1958 leiten seine Söhne Peter und Max die Dätwyler AG, die sich zur international tätigen Gruppe weiterentwickelt. Ein Schriftexperte schreibt über die Handschrift Dätwylers u.a.: «Er ist es, der die Verantwortung trägt, für sich, für sein Werk, für seine Umgebung. Und diese Verantwortung ist es, welche das Bild rundet, die ihn zum eigentlichen Unternehmer macht.»