Vielseitiger Wasserbauer
Der Name Ganz hat in Ungarn bis heute einen guten Klang. Die imposante Gruft von Abraham Ganz auf dem Kerepeser Friedhof in Budapest zeugt von seinem grossen Reichtum, den er sich als Pionier der Maschinenindustrie erarbeitet hat. Kaum ein Schweizer hat es im Ausland zu solch einem unternehmerischen Erfolg und sozialen Aufstieg gebracht wie Ganz. Als Erfinder, Kaufmann und Fabrikherr hat er entscheidend dazu beigetragen, das von feudalen Privilegien geprägte Ungarn des 19. Jahrhunderts in das industrielle Zeitalter zu führen.
Abraham Ganz kommt am 8. November 1814 im zürcherischen Embrach als Sohn eines Lehrers auf die Welt. Mit siebzehn Jahren tritt er bei der Maschinenbaufirma Escher Wyss eine Lehre als Eisengiesser an. Deren Mitbegründer, Hans Caspar Escher (vgl. Pionier der Woche 36), ist sein erstes grosses Vorbild. Im Anschluss begibt sich Ganz auf die Wanderschaft – zu lange in den Augen des Vaters. Er ermahnt seinen Sohn, endlich wieder nach Hause zu kommen. Dieser antwortet aus Paris: «Ich will zuvor noch in einigen schönen Giessereyen arbeyten».
Ganz zieht es nicht nach Embrach, sondern gegen Osten. In Wien erfährt Ganz 1841 von der Einrichtung einer neuartigen Dampfmühle in Budapest mit Schweizer Know-how. Er bewirbt sich für eine Stelle und wird alsbald Leiter der Giesserei. Anfänglich als Reparaturwerkstätte für die Mühle gedacht, entwickelt sich diese zu einem florierenden Unternehmen. 1845, nach einem Zerwürfnis mit dem Schweizer Direktor, macht sich Abraham Ganz selbständig. Seine Giesserei im Stadtteil Buda, am anderen Donauufer, gehört zu den «ersten Industriebetrieben in Ungarn», so die Ganz-Biographen L. Arato und Moia Schnyder.
Binnen kurzer Zeit arbeitet sich Ganz vom zugewanderten Giessereigesellen zum geachteten Bürger empor. Weil er in Ungarn zu wenige Fachkräfte findet, holt er diese auch aus der Schweiz. In Budapest gibt es zu dieser Zeit eine stattliche Schweizerkolonie. Während der Ungarischen Revolution von 1848/49 produziert Ganz für die Aufständischen Kanonen und Munition.
Nach der Niederschlagung der Revolution wird er wegen «Hofverrat» zum Tode verurteilt. Einflussreiche Fürsprecher verhindern die Vollstreckung, doch sein Besitz wird zum grossen Teil konfisziert. Ganz lässt sich indes nicht entmutigen, er heiratet und baut den Betrieb wieder auf. Um 1853 schafft er mit der Erfindung des Schalengusses für Eisenbahnräder den endgültigen Durchbruch. Seine Räder sind langlebig und einfach herzustellen. Für seine Verdienste um die Reichseisenbahnen verleiht ihm Kaiser Franz Joseph I. 1863 das goldene Verdienstkreuz mit Krone und später auch den Leopold-Orden.
Obschon Ganz als Mensch jovial und umgänglich ist, werden ihm die immense Arbeitsbelastung und die unternehmerischen Risiken eines Grossbetriebs zu viel. Er leidet körperlich und hat Angstzustände. 1867 nimmt er sich, erst 53-jährig, das Leben. Doch seine Firma existiert weiter.
Ab den 1870er-Jahren öffnet sie sich der Elektrotechnik und baut später u.a. elektrische Lokomotiven und Motorwagen. Nach 1945 entsteht der fusionierte staatliche Ganz-MAVAG-Konzern als grösster schwerindustrieller Betrieb in Ungarn. Doch die herrschenden Kommunisten sehen in Ganz einen «Boten des Kapitalismus», seine erste Fabrik soll als «Denkmal kapitalistischen Unternehmertums» einem Wohnblock weichen. Die alte Giesserei wird aber gerettet und dient als Museum. Das Unternehmen von Ganz firmiert heute unter dem Namen «Ganz Holding Co, Ltd.»
Seinen Eltern schreibt der 26-jährige Ganz über die Gründe seiner langen Wanderschaft: «Geduld, Muth und Ausdauer sind mächtige Hebel zum Glücke eines Menschen; der, welcher der Zukunft wegen verzagt ist, ist schon zu bedauern.»