Visionär, Grossbürger, Wirtschaftsführer
Es gibt eine Schweiz vor und eine Schweiz nach Alfred Escher. Das Wirken des Zürcher Politikers und Wirtschaftspioniers markiert ein einmaliges wirtschaftsliberales Zeitfenster in der Geschichte der Schweiz. Die neue Bundesverfassung von 1848 bildete in ihrer wirtschaftsliberalen Ausrichtung die Grundlage für den fulminanten Aufstieg der Schweiz vom Armenhaus zum reichsten Land Europas. Doch das allein genügte nicht. Es brauchte Personen, die die Chance packten, den Aufstieg gestalteten und so wesentlich zum Erfolg beitrugen. Eine davon war Alfred Escher.
Alfred Escher beherrschte während Jahrzehnten die zürcherische und die eidgenössische Politik in einem Masse, wie dies heute unvorstellbar wäre. Er gehörte dem Nationalrat während 34 Jahren ununterbrochen an und wurde als einziger Parlamentarier in der Geschichte des Bundesstaates viermal zu dessen Präsidenten gewählt. Während 38 Jahren sass er im Kantonsrat (Grossrat), sechsmal war er dessen Präsident. Während 7 Jahren war er Regierungsrat, davon während 4 Jahren als Präsident. Über die ganze Zeit seiner politischen Tätigkeit sass Escher in mehr als 200 eidgenössischen und kantonalen Kommissionen, von denen er einen grossen Teil präsidierte.
Eschers Mehrfachrolle als exekutiver und legislativer Politiker sowie als Unternehmer und Wirtschaftsführer war trotz aller staatsrechtlicher Vorbehalte der Schlüssel zum Erfolg. Seine wirtschafts- und kulturpolitischen Gründungen dokumentieren die Stellung dieses Mannes: Nordostbahn (gegründet 1853, heute SBB), Gotthardbahn (1872, SBB), Eidgenössisches Polytechnikum (1854, ETH Zürich), Schweizerische Kreditanstalt (1856, Credit Suisse), Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt (1857, Swiss Life). Dabei war er nicht nur deren Promotor, sondern übernahm gewöhnlich auch die Führungsfunktion – und dies während Jahrzehnten.
Schon früh engagierte sich Escher in aussenpolitischen Angelegenheiten: 1848 hatte er als Repräsentant der Tagsatzung mit heiklen asylpolitischen Fragen im Kanton Tessin zu tun. Die Aussenpolitik war auch in späteren Jahren eines seiner Tätigkeitsfelder, auf dem er mit klugem Rat entscheidend zur Verhinderung drohender militärischer Auseinandersetzungen beitrug. Die Maximen der schweizerischen Neutralitätspolitik gehen auf ihn zurück.
Eschers triumphales Meisterstück war das Gotthardprojekt. Er war de facto Bauherr auf der grössten und schwierigsten Baustelle der Welt. Hier musste er aber auch die schmerzvollste politische Enttäuschung einstecken. 1878 sah er sich gezwungen, als Direktionspräsident der Gotthardbahn zurückzutreten.
Durch sein Engagement in der Eisenbahnpolitik sowie bei seinen Gründungen förderte Escher den Standort Zürich gezielt und baute an der Limmat ein machtpolitisches Zentrum auf, das grossräumig über die Kantonsgrenzen hinaus konzipiert war. Dank seinen Initiativen und Projekten prosperierten in Zürich Verkehr, Industrie, Handel, Wissenschaft und Kultur.