Industrieller Aufbruch in Bern
Gottfried Bangerter (1847–1923) gehörte zu den grossen Industriepionieren des Kantons Bern. Als die Industrialisierung in Bern – mit einigen Jahrzehnten Verspätung – um 1890 an Fahrt gewann, stand er bereit, um mit bereits reicher industrieller Erfahrung und unbändigem Tatendrang auf den Zug der Industrialisierung aufzuspringen und selber nach Kräften am Fortschritt mitzuwirken. Seine Biographie zeigt die Bedeutung der wirtschaftlichen-politischen Vernetzung sowie neuer Industriebereiche, insbesondere der Energiewirtschaft.
Gottfried Bangerter wurde in Lyss (BE) als ältestes von zwölf Kindern geboren. Sein Vater, Johannes Bangerter (1823–1909), war Mühlenbauer und gründete in den 1870er Jahren ein Kieswerk mit einem angegliederten Werk zur Herstellung von Ziegeln, Backsteinen und Betonprodukten. Nach der Primarschule in Lyss besuchte Gottfried Bangerter die Sekundarschule in Le Locle, später machte er eine kaufmännische Lehre in einer Textilfirma in Basel.
1871 zog Gottfried Bangerter nach Langenthal, wo er zusammen mit Samuel Gottlieb Stettler (1844–1931) eine Textilfirma übernahm. Er vermittelte die Garne aus heimischer Spinnerei an Berufs- oder Gelegenheitsweber und setzte die damit hergestellten Tuche wieder ab. Trotz alteingesessener Konkurrenz florierte das Textilunternehmen Stettler & Bangerter über viele Jahre hinweg.
Parallel zum Aufbau des Textilunternehmens verlief Bangerters Einstieg in die Politik: 1871 wurde er «Cassier» des örtlichen Vereins für Handel und Industrie. 1875 wählten ihn die Stimmbürger zum Gemeinderat und nur zwei Jahre später nahm er im bernischen Grossen Rat Einsitz. Offenbar liefen die Geschäfte so gut, dass Bangerter 1883 zusammen mit seinem Bruder Arnold das väterliche Kieswerk in Lyss übernahm. Die operative Leitung überliess er aber seinem Bruder, was ihm den Verbleib in Langenthal ermöglichte.
Die Zeit zwischen 1890 und dem Ersten Weltkrieg wird mit Blick auf die bernische Wirtschaft die «Gründerzeit» genannt und Gottfried Bangerter war einer ihrer Vertreter. Er beteiligte sich in dieser Zeit bei einem halben Dutzend Firmengründungen und stieg als Verwaltungsrat in bei nochmals so vielen Unternehmen ein. Die ersten beiden Gründungen waren dabei die wichtigsten.
1893 gründete er mit Freunden die «Kohlensäurefabrik Bern A.-G.», die später zur Carbagas wurde. Damit beteiligte er sich in einer höchst dynamischen und profitablen Branche: denn die Gasindustrie war für die aufkommende Industrie von grösster Bedeutung. Noch bedeutender und gar das Merkmal jener Phase der Industrialisierung war die Elektrizität. 1895 beteiligte sich Bangerter am Elektrizitätswerk Wynau, das quasi vor der Haustür Langenthals das erste Flusskraftwerk der Schweiz baute.
Sein Engagement führte Bangerter an die Spitze der bernischen Wirtschaft. Ausdruck davon war die Wahl in den Nationalrat, dem er von 1890 bis 1902 angehörte. Daraufhin verlegte er auch seinen Wohnsitz von Langenthal nach Bern. Sein Arbeitsschwerpunkt blieben aber die zahlreichen Mandate in den unterschiedlichsten Unternehmen, während er im Nationalrat eher ein stiller Schaffer war.
Das Wort Ruhestand kannte Gottfried Bangerter nicht. Noch im 77. Lebensjahr sass er täglich am Arbeitstisch, bis er am 29. Juli 1923 völlig überraschend verstarb.