«Bio» avant la lettre
Unter den klassischen Schweizer Pionieren finden sich nur wenige Frauen. Einerseits hatten sie kaum die Möglichkeit, eine den Männern entsprechende Tätigkeit und Wirkung zu erzielen. Andererseits hat man ihr Tun kaum beachtet und es ging vergessen. Mina Hofstetter-Lehner (1883–1967) ist dabei eine Ausnahme. Aufschlussreiche Quellen zeichnen ihren Weg von der einfachen Bäuerin zur selbstbewussten und radikal denkenden Veganerin nach, die als Pionierin des biologischen Landbaus in der Schweiz gilt.
Nach der obligatorischen Schulzeit ging Mina Hofstetter als Dienstmädchen zu einer Familie in Genf, wo sie für Ihre Arbeit sehr geschätzt wurde. Später verbrachte sie eine Zeit lang in derselben Stellung in Berlin. Im Jahre 1907 heiratete sie Ernst Hofstetter, einen gelernten Schreiner aus Oberburg (BE). Sie lebte mit ihm und der rasch anwachsenden Kinderschar im aargauischen Kölliken.
Im Jahre 1915 erwarben Mina und Ernst Hofstetter den Hof Stuhlen in Ebmatingen am Greifensee. Der Hof war damals noch ein Milchwirtschaftsbetrieb. Da Ernst Hofstetter in jenen Jahren immer wieder Aktivdienst leisten musste, war Mina Hofstetter mit ihren mittlerweile fünf Kindern auf sich allein gestellt bei der Haus- und Hofarbeit. Seit ihrer Kindheit hatte sie eine schwache Gesundheit. Nach der Lektüre von Werner Zimmermanns Werken über die Freiluftkultur kam sie zum Schluss, sich fleischlos zu ernähren. Vorerst mit dem Verzicht auf Schweinefleisch, dann mit der Umstellung auf rein pflanzliche Ernährung verbesserte sich ihre Gesundheit.
Was folgte, war die logische Konsequenz für ihren Landwirtschaftsbetrieb. Denn Hofstetter-Lehner war im Dilemma, sich nur durch pflanzliche Rohkost zu ernähren, aber gleichzeitig Vieh zu halten und Milch zu produzieren. Deshalb stieg sie Schritt für Schritt auf den biologischen Landbau um – nota bene zu einer Zeit, als «Bio» ein Fremdwort war. Ihren Standpunkt zu vertreten, bedurfte grosser und steter Überzeugungsarbeit. Auch ihr Mann stand der viehlosen Landwirtschaft kritisch gegenüber, zog sich aus dem Betrieb zurück und richtete sich in einem Schuppen eine Schreinerwerkstatt ein.
Mina Hofstetter-Lehner blieb unbeirrt. Ab 1927 führte sie den Bauernhof viehlos, machte Versuche über Reihensaaten im Getreideanbau und protokollierte in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Bauernsekretariat die Entwicklung ihres Hofs. Seit Anfang der 1920er-Jahre hatte sie auch Kontakte mit anderen Pionieren des biologischen Landbaus. Zunächst unter dem Pseudonym Gertrud Stauffacher, später auch unter ihrem eigenen Namen, veröffentlichte sie verschiedene Schriften zum «Biologischen Landbau» und zur «Viehlosen Landwirtschaft». 1936 liess sie über dem Greifensee den «Seeblick», eine «Lehrstätte für biologischen Landbau» erbauen. Hier wurde 1947 auch die Genossenschaft Biologischer Landbau (heute: bioterra) gegründet.
Ihre radikalen Ansichten, die auch aus heutiger Sicht fremd anmuten, machten sie zu einer selbständigen, weit bekannten und gut vernetzten Persönlichkeit. Auf dem Hof Stuhlen trafen sich Lebensreformer, Ökonomen, Ärzte, Schriftstellerinnen und Feministinnen. Hofstetter-Lehner war damit auch eine Vertreterin jener Bewegung, die nach dem Ersten Weltkrieg für Frauenrechte und Emanzipation einstanden.
Mina Hofstetter-Lehner verstarb am 21. Dezember 1967 auf ihrem Hof Stuhlen bei Ebmatingen in der Gemeinde Maur (ZH).